Vom Leben und Überleben kleinbäuerlicher Existenzen in einer Drogenanbauregion in Albanien

Ins Leben geworfen zu werden ist wie eine Lotterie: Man hat keinen Einfluss darauf, wo man hineingeboren wird und welche Bedingungen das Leben einem stellt. Niemand wird als „Drogenbauer oder -bäuerin“ geboren. Es ist eine Verkettung von Voraussetzungen und Ereignissen, die einen verletzlich dafür machen. Zwischen 2010 und 2019 verurteilten albanische Gerichte rund 5000 Menschen wegen des illegalen Anbaus von Cannabis. Die meisten von ihnen sind Männer aus ländlichen Gebieten, einige kamen aus Pult. Diese Erzählung ist eine Begegnung mit der Realität der Bewohner*innen in der abgelegenen Bergregion im Norden Albaniens. Ihre Geschichten handeln von Vernachlässigung, aber auch von Widerstandsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft – und davon wie ein Projekt der Alternativen Entwicklung sie dabei unterstützt, ihre Lebensbedingungen aus eigener Kraft zu verbessern.

Die kleine Siedlung Kasnec in Pult liegt nur 140 Straßenkilometer nördlich vom prosperierenden Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Und doch scheint es, als wäre sie in einem anderen Land. In Pult haben ein Drittel der Häuser keinen Zugang zu Trinkwasser. Die Stromversorgung ist mangelhaft, tagelang kommt es zu Ausfällen. Wenn der Strom zurück ist, glimmen die Glühbirnen wie Glühwürmchen im Dunkeln. Zu den verstreuten Häusern und Feldern hoch in den Bergen führen Straßen, die so nicht genannt werden dürften, weil sie weder befestigt noch sicher sind. Sie bestehen aus Geröll und Erde, ziehen sich an steilen Hängen hoch, schlängeln sich durch Schluchten und Flüsse. Nicht nur, wenn es stark regnet, und die Flüsse anschwellen, verunglücken auf diesen Wegen Menschen. Dutzende Kreuze am Wegesrand mahnen stumm eine nicht funktionierende Infrastruktur. Entwicklungsdefizite sind eine der Hauptursachen des illegalen Drogenpflanzenanbaus weltweit. In Pult ist das nicht zu übersehen.

Pëllum Sera ist stolz auf seine drei Töchter Gabriela, Gerta und Geralda. © GIZ GmbH

Harte Arbeit, die sich kaum lohnt

Pëllum Sera (41) lebt in Kasnec. Sein alter Landrover braucht für ein paar Kilometer zwischen der letzten asphaltierten Straße und seinem Haus zwei Stunden. Der Wagen hält den felsigen Straßen stand und bleibt auch dann nicht stehen, wenn er den Fluss quert und das Wasser im Auto bis zu den Knöcheln steigt. Pëllum Sera hat sein ganzes Leben in Kasnec verbracht, jetzt lebt er hier mit seiner Frau Leze (40), seinen drei Töchtern Gabriela (16), Gerta (13), Geralda (4) und seiner Mutter Lena (62). Sein Vater starb früh, und Lena Sera zog ihn, seinen Bruder und seine drei Schwestern allein auf. Die Schwestern wurden weit weg verheiratet. Der Bruder blieb, lebt hier mit seiner Frau und seinen zwei Kindern. Die zehn Familienmitglieder teilen sich ein einfaches Steinhaus. Um das Haus herum gibt es bewirtschaftete Parzellen. Auf diesen bauen sie an, was sie zum Leben brauchen: das Feld mit dem Mais für das Mehl und die Reben für den Raki, sind im Spätherbst bereits abgeerntet. Die Oma treibt Schweine in eine Ruine. Die Hunde bellen vor der Außentoilette. Die Wäsche trocknet auf dem Zaun. Die Apfelbäume sind noch voll, und die Kastanien fallen auf den Boden. "Wir sind ganz normale Menschen", sagt Pëllum Sera. "Wir leben ein Leben wie alle Menschen hier in den Dörfern. Wir arbeiten hart."

Die harte Arbeit belohnt die Familien nicht. Das Leben, das sich die Männer auf Instagram anschauen, ist damit nicht erreichbar. Die Frauen besitzen keine Mobiltelefone und können es nur erahnen. Der Alltag der Familien ist von Mangel gekennzeichnet. Ein Leben, das die meisten Bewohner*innen hinter sich lassen wollen. Das Gros hat die Gegend längst verlassen. Sie wandern in die Städte oder ins Ausland ab, um dort ein besseres Leben zu erreichen.

Die abgelegene Bergregion ist eine Männerwelt, aber Frauen wie Leze Sera arbeiten genauso hart wie die Männer und kümmern sich zusätzlich um die Kinder und Alten. © GIZ GmbH

Nach dem Ende der 45-jährigen sozialistischen Ära von Enver Hoxha 1991 galt Albanien als das ärmste osteuropäische Land. Seit den 1990er Jahren erlitt Albanien einen Bevölkerungsrückgang von 15 Prozent. Es gehört heute weltweit zu den wenigen Ländern, dessen Volk mehrheitlich außerhalb des eigenen Landes lebt. Knapp 10 Prozent des Bruttosozialprodukts ist Geld, das von Verwandten aus dem Ausland erwirtschaftet und in die Heimat geschickt wird. Doch ein Neustart als Fremde*r an einem anderen Ort ohne Ausbildung und ohne Beruf ist alles andere als einfach. Die Alten sind chancenlos. Die Jungen versuchen es.

In den Zeiten des kommunistischen Regimes konnten die Kleinbauern nicht einmal die paar Tiere auf ihrem Hof ihr eignen nennen. © GIZ GmbH

Das Verprechen nach dem großen Geld

Auf die Perspektivlosigkeit vor allem der jungen Männer setzt der Drogenhandel. Sie gehört zum Kalkül eines erfolgreichen Geschäftsmodells und sorgt dafür, dass immer neue menschliche Ressourcen den Sektor am Laufen halten: Mit der Verheißung nach dem schnellen und großen Geld lassen sie sich als Pflücker in illegalen Cannabis-Plantagen und Gewächshäusern im Ausland rekrutieren; sie arbeiten in der Logistik von Kokain und Heroin auf der sogenannten Balkanroute oder bauen wie in der Region von Pult im Auftrag von anderen illegal Cannabis an. In den nordalbanischen Bergen herrschen nicht nur klimatisch ideale Anbaubedingungen, der Staat ist weitestgehend abwesend, die bewaldete Bergregion unübersichtlich. Wenige „Rekruten“ spielen im organisierten Verbrechen, der oft zitierten sogenannten „Albanischen Mafia“ eine größere Rolle. Die meisten sind schlicht: Mittel zum Zweck.

Die Mittelschule ist eine Autostunde entfernt

Pëllum Sera ist das nicht. Er ist umtriebig und wie der Rest der Familie den ganzen Tag beschäftigt, Haus und Hof zu unterhalten. In der Nachbarschaft ist Sera der einzige, der ein Auto besitzt. Er fährt in der Erntezeit mehrmals wöchentlich den langen Weg bis zur Asphaltstraße und wieder zurück, um Esskastanien, Honig, Früchte und Kräuter aus den Wäldern an Händler zu übergeben. Er fährt aber auch seine älteste Tochter in die Schule, die eine Autostunde entfernt ist, und Nachbarn ins Krankenhaus, wenn es nötig ist.

Die Grundschule von Pult. Sieben Kinder werden hier im Herbst 2022 unterrichtet. © GIZ GmbH

Vom albanischen Staat erhält Pëllum Sera so wie die anderen Kleinbauernfamilien eine Unterstützung von etwa 5000 Lek pro Monat. Das sind etwa 40 Euro. Also knapp 8 Prozent des Durchschnittseinkommens in Albanien, das bei 503 Euro liegt (2022). Die Familie Sera lebt genauso wie die anderen Familien in der Region von der Hand in den Mund, von dem, was sie selbst erntet. „Die Bauern hier produzieren, um zu überleben. Sie bringen wenig auf den Markt und erhalten dort auch nur geringes Geld für ihre Produkte“, sagt Toma Marku (62). Marku arbeitete früher für Oxfarm. Heute ist er Lokalpolitiker, Leiter der Verwaltung von Pult und setzt sich für die Belange der Bewohner*innen ein. Er kommt ursprünglich selbst aus Pult. Er erzählt: „Im vergangenen Jahr bekamen die Bauern noch 200 Lek für ein Kilo Esskastanien, 2022 waren es nur noch 60 Lek.“ Etwa 80 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte in Albanien finden nicht ihren Weg auf den Markt, dies auch schon vor der Corona- und der Energiekrise.

Für Toma Marku sind die fehlende Infrastruktur und das marode Schulwesen das Haupthindernis für die Entwicklung der Region. Er sammelt Geld für den Ausbau der Straßen, private Spenden von abgewanderten Bewohner*innen, und so schafft es die Gemeinde in den niederschlagsärmeren Monaten, die abenteuerlichen Wege zu verbreitern, zu befestigen und zu begradigen. Nach den Regenfällen im Winter ist davon weniger zu sehen. Die Grundschule für die Kinder von Kasnec ist ein auseinanderfallendes Steinhaus, grüner und schwarzer Schimmel klettert an den Innenmauern hoch, bunte Prinzessinnenbilder an der Wand zeugen davon, dass hier Kinder träumen, und die Zigarettenpackung auf dem Pult, dass der Lehrer heute Morgen da war.

Zugang zu Rechten, Ressourcen und Repräsentation

Die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von Pult sind benachteiligt. Ressourcen, Rechte und Repräsentation wurden ihnen in den letzten Jahrzehnten kaum zugestanden, wie etwa das Recht auf das Land, das ihre Vorfahren seit Hunderten von Jahren bewohnen und bewirtschaften. Enver Hoxha und sein Regime enteigneten alle Albaner*innen. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes im Jahr 1991 war eine der wichtigsten Veränderungen für Albanien die Landreform. Während in den meisten ehemals sozialistischen Ländern die Landtitel an die früheren Eigentümer zurückgegeben wurden, wurde das Land in Albanien zu gleichen Teilen an die Mitglieder der ehemaligen Genossenschaften und Staatsbetriebe verteilt. Die Landparzellen wurden willkürlich auf Karten zugewiesen - unabhängig davon, ob das Land bebaubar war oder aus Felsen bestand. Bis heute sind 75 Prozent des Bodens in Albanien nicht registriert, in Kasnec sind es sogar 100 Prozent. Wer sein Landeigentum anerkennen lassen will, muss lesen und schreiben können, er muss Papierkram erledigen, er muss Zeit haben, das zu tun, er muss Kontakte zu den Behörden pflegen, hinterher sein. Jemand wie Pëllum Sera, der offiziell kein Land besitzt - obwohl die Familie seit Jahrhunderten darauf lebt und es bewirtschaftet - bekommt auch keine Investitionskredite für seinen Hof. Er verfügt damit weder über Ressourcen noch wird sein Recht auf Land erfüllt. 

Die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Kasnec haben keine Landtitel inne und damit auch keinen Zugang zu Krediten für Investitionen. © GIZ GmbH

Die Gemeinschaft - keine Selbstverständlichkeit

Dass sich das ändert, dafür setzt sich auch Wilson Peshkaj (32) ein. Er zog als Kind von Kasnec nach Skhoder und arbeitet heute als Verwaltungsbeamter für Shala, Shosh und Pult. Er stellte den Kontakt zwischen der GPDPD und den Menschen in Pult her. Die Erinnerungen an seine Kindheit oben in den Bergen sind glückliche: Fußballspielen mit den Freunden, Schwimmen in glasklaren Flüssen, die Schule fand damals noch 5 Tage die Woche statt und Lernen machte Spaß. „Für mich ist Pult der schönste Ort der Welt“, sagt er. Peshkaj sieht überall Potentiale, in den natürlichen Gegebenheiten und in den Menschen, besonders in den Kindern. Mit einem zu einer Bibliothek umgebauten Mitsubishi Pajero fährt er an seinen freien Tagen durch die Dörfer und versorgt die Kinder mit Büchern und klärt die Erwachsenen zu Themen wie häusliche Gewalt und Kinderschutz auf. Der Jeep ist bunt bemalt – mit den Zeichnungen der Kinder aus Pult. Er ist eines von zwei beschlagnahmten Fahrzeugen aus dem Besitz der Organisierten Kriminalität, die zu mobilen Bibliotheken umgebaut wurden. Diese gehen auf eine gemeinsame Initiative der GPDPD, des Globalvorhabens für die Bekämpfung illegaler Finanzströme sowie des albanischen Innenministeriums und zweier Gemeinden zurück. Die beiden umgebauten Jeeps transportieren mehr als nur Bücher: Sie symbolisieren, dass man mit Bildung weiterkommt als mit illegalen Aktivitäten.

Die finanzielle Situation vor Augen, ist es fast klar, dass die Familien kaum eine soziale Absicherung haben. Dedë Ulqerja (58),  ein Nachbar von den Seras, erkrankte vor Jahren an einem Gehirntumor. Nachdem die Familie sich Geld für die Operationskosten geliehen hatte, brauchte sie lange, um die Summe zurückzuzahlen. Dedë Ulqerja kann seit seiner Krankheit nicht mehr arbeiten. Seine Frau Dilë Ulqerja (53) arbeitet seither für zwei. Bei jedem Atemzug kann man das Rasseln ihrer Lunge hören, sie hat eine schwere Asthmaerkrankung. Ihr Sohn Gjon (27) ist geblieben und unterstützt sie, aber er wäre lieber heute an einem anderen Ort als morgen. Die Familien haben keinerlei Rücklagen. Wenn etwa jemand erkrankt oder einen Unfall hat, hilft nur die Gemeinschaft, und selbst das ist nicht selbstverständlich.

Die Familie ist meist das einzige Sicherheitsnetz: Gjon, Dilë und Dedë Ulqerja (von links nach rechts). © GIZ GmbH

Der Kanun, ein schwieriges kulturelles Erbe

In Pult leben in den wärmeren Monaten etwa noch 1000 Menschen. In den harten Wintern – schon im Spätherbst liegt der erste Schnee auf den Berggipfeln – zieht die Hälfte der Haushalte temporär nach Skhoder, in die nächstgelegene Stadt, und lebt dort von dem, was sie in den Bergen geerntet und für den eigenen Gebrauch verarbeitet hat. Die Landflucht stellt Albanien vor enorme Herausforderungen: Dörfer und ganze Regionen sterben sprichwörtlich aus. Die Städter mögen die „Hinterwäldler“ nicht. es kommt zu sozialen Spannungen und der Wahrnehmung, dass die Kriminalität in den Städten zunimmt.

 

Pult gilt als Geburtsstätte des Kanun von Lekë Dukagjini. Das Regelwerk stammt aus einer Zeit als es noch keine Staatsgewalt gab. Es organisierte das Miteinander und das Gesetz der Blutrache sollte Menschen davon abhalten, einander Gewalt anzutun. Nach dem Kanun wird Schuld weitervererbt, die Angehörigen eines Todesopfers rächen sich am Erstgeborenen des Täters, dessen Angehörige wiederum das Recht haben, sich am Erstgeborenen der anderen Familie zu rächen, usw... Ein Perpetuum der Gewalt entstand. Betroffene versteckten sich ihr ganzes Leben lang in ihren Häusern. Noch heute herrscht in manchen Gemeinschaften die Blutrache und angeblich verstecken sich im ganzen Land noch Hunderte von Erstgeborenen in ihren Häusern oder leben verborgen irgendwo im Ausland, um ihrem Schicksal zu entgehen. "Bei uns spielt der Kanun keine Rolle mehr", sagt Dedë Ulqerja (60), der ältere Bruder von Ndoc Ulqerja. Die jungen Leute wüssten kaum noch, was der Kanun bedeutet, fügt er hinzu. Dennoch werden die Menschen in Pult von ihm beeinflusst, so wie jeder einzelne Mensch geprägt ist durch seine Sozialisation und Geschichte. In Pult bedeutet diese Prägung, dass das Vertrauen in eine Gemeinschaft, die über die eigene Familie hinausgeht, keine Selbstverständlichkeit ist. In der Familie hält man zusammen, nach außen hin aber ist man vorsichtig.

In Pult liegen die Höfe weit auseinander. © GIZ GmbH

Das spiegelt sich auch in der Architektur der Dörfer wider. In Kiri stehen die Häuser der Familien weit auseinander, außer Sichtweite des Nachbarn. Es gibt keinen gemeinschaftlichen Ort, wie einen Dorfplatz, an dem die Bewohner zu Festen oder nach getaner Arbeit zusammenkommen, wie es sonst auf dem Land der Fall ist. Jede Familie hat ihren eigenen kleinen Friedhof. Das ist ein Erbe, mit dem eine Gemeinschaft auch zu kämpfen hat, wenn sie eigentlich nur sich selbst helfen kann, weil es sonst keiner tut. Sie müssen lernen einander zu vertrauen. Dass sie das verstehen und verändern wollen, zeigt sich auch in ihrer Bereitschaft für die Gründung einer landwirtschaftlichen Kooperative.

Vertrauen gewinnen und die ersten Schritte gehen

Diese gründeten die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von Pult 2021 mit der Hilfe eines Projektes der Alternativen Entwicklng.  Dieses wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) über die GPDPD umgesetzt und von der albanischen Regierung unterstützt. Das Projekt in Pult ist eines von zwei Pilotprojekten in Gebieten, die vom illegalen Cannabisanbau betroffen sind, und unterstützt Familien, durch ein alternatives, legales Einkommen einen angemessenen Lebensstandard zu erreichen. Etwa 100 Kleinbauernfamilien haben seither Erfahrungen und Wissen miteinander geteilt, um gemeinsam voran zu kommen. Im Fall von Pult lernten die Mitglieder von 20 Familien, wie sie mehr Ertrag und Gewinn aus ihren natürlichen Ressourcen erzielen können. Die Bäuerinnen und Bauern erwägen, ihre Produkte in Zukunft unter der regionalen Marke "Me dashuri nga Pulti" oder "With Love from Pult" zu verkaufen, und hoffen auf einen größeren Absatz. Der schwierige Zugang zum Markt ist jedoch nach wie vor ein großes Hindernis, insbesondere aufgrund der fehlenden Infrastruktur.

Die meisten Haushalte haben kein Fahrzeug. Der Esel transportiert schwere Lasten. © GIZ GmbH

Alternative Entwicklung ist ein ganzheitlicher und partizipatorischer Ansatz, der auf eine nachhaltige und gerechte Entwicklung abzielt und legale Einkommensmöglichkeiten für Kleinbäuerinnen und  Kleinbauern schafft, damit sie widerstandsfähriger gegen illegale Aktivitäten und Krisen sind. Dabei setzt das Konzept auf eine umweltfreundliche und diversifizierte landwirtschaftliche Nutzung. Die Betroffenen werden von Anfang an in das Design der Maßnahmen einbezogen werden. In Pult erwirtschaften die Familien ihr Einkommen traditionell mit dem Verkauf von Esskastanien, Honig und Gewürzkräutern.

Blitzlichter in die Zukunft

In den Sommernächten blitzen in der Ferne manchmal kleine Lichter auf. Dann weiß Pëllum Sera, das sind mal wieder die Taschenlampen von Tourist*innen, die sich verlaufen haben. Er fährt los, sammelt sie ein und fährt sie zurück in die Stadt, wo es Hotels gibt. Die Region von Pult eignet mit ihrer unberührten und wilden Schönheit für einen sanften Agrotourismus. Das ist eine Perspektive für die Zukunft. Erste Wanderwege wurden als Maßnahme der Alternativen Entwicklung bereits ausgebaut und markiert. 

Die Gegend ist bekannt für ihre Kastanienwälder, die reich an hochwertigen Esskastanien sind. Die Mitglieder der Kooperative lernten wie sie diese vor Krankheiten schützen können. Ein Bienenexperte stellte fest, dass die Bienen krank waren und sie wurden erfolgreich behandelt. Die gesundeten Bienen werfen heute viel mehr Honig ab. Das Jahreseinkommen der Bienenhalter*innen steigerte sich durch den Honig im ersten Jahr durchschnittlich um 2500 EUR. Dass der Honig zu dem besten des Landes gehört, liegt nicht nur daran, dass es in der Gegend keine Umweltbelastungen gibt. Die Flora der Bergregion ist besonders artenreich: Auf den Hängen wachsen Wildkräuter, die nicht nur die Bienen mögen, sondern auch Broker von aromatischen und medizinischen Kräutern, letztere sind von der Pharmaindustrie heiß begehrt. Die Familien in Pult lernten die verschiedenen Kräuter zu identifizieren und schonend zu ernten. Ein solarbetriebener Trockentunnel ermöglicht ihnen die Naturkräuter sauber zu konservieren und mit etwas mehr Gewinn an die Händler weiter zu verkaufen. Es sind kleine, aber wichtige Schritte, die die Familien unternehmen, die kleine, aber elementare Verbesserungen bringen.

Mit dem Ausbau von Wanderwegen, wird das Gebiet auch für Wanderer und Bergsteiger erschlossen. © GIZ GmbH

Lösungen, die in das Leben der Menschen passen

„Es geht hier nicht um die großen Innovationen, es geht darum Lösungen zu finden, die in das Leben der Menschen passen“, sagt Erald Lamja, der seit vielen Jahren für Entwicklungsprojekte in Albanien arbeitet und jetzt auch mit den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Pult. Sie führen ein hartes Leben. Wer im ständigen Überlebenskampf ist, wer also immer nur gerade überlebt, hat kaum Ressourcen neue Wege zu gehen. „Zunächst müssen sie vertrauen“, sagt Erald Lamja. „Die Menschen in den Bergen wurden benutzt. Das ist ihre Erfahrung.“ Er spielt damit auf die Drogenhändler an, die sie für ihre Zwecke (miss)brauchten. Die für den illegalen Anbau von Cannabis Verurteilten waren zu 94 Prozent Männer und 60 Prozent davon lebten im ländlichen Raum bzw. in Gegenden wie Pult. 92 Prozent davon waren zuvor noch nie straffällig geworden. Dass der Anbau von illegalem Cannabis spürbare Konsequenzen mit sich zieht, habe zu einem Umdenken in den Gemeinschaften geführt, so Lamja. Für die Männer, aber auch für die Familien, die dann auf die Arbeitskraft der Männer verzichten mussten. „Wenn sie hören, dass sie durch andere und legale Praktiken, mehr verdienen können und durch das Erlernen der richtigen Praktiken gleichzeitig weniger arbeiten müssen, dann gewinnst du ihre Aufmerksamkeit, mit der Zeit ihr Vertrauen und irgendwann ihre Überzeugung.“ Durch die neuen Kenntnisse und Hilfsmittel, die sie durch die Aktivitäten des das Entwicklungsprojekts gewonnen haben, wird ihnen klar: „Sie können etwas tun. Sie haben eine Stimme. Sie haben Wissen. Sie haben Rechte “, so Lamja.

Der Honig aus Pult ist qualitativ hochwertig, weil die Natur intakt ist und auf den Almen viele Wildkräuter wachsen. © GIZ GmbH

Wenn die Kleinbauernfamilien von Kasnec mit ihrer Arbeit in den kommenden Jahren einen für sie angemessenen Lebensstandard erreichen und sich und nachfolgende Generationen von der potenziellen wirtschaftlichen Abhängigkeit der Drogenkriminalität befreien können – dann kann das ein Beispiel für die gesamte Region sein.