Herausforderungen überwinden: Roman Ledkov über seine Arbeit mit ukrainischen Flüchtlingen

Roman Ledkov unterstützt seit mehr als 15 Jahren Menschen, die Suchtmittel zu sich nehmen und mit HIV leben. Derzeit ist er aktives Mitglied und Koordinator des Beratungsgremiums für Suchtbehandlung von Eurasian Network of People Who Use Drugs (ENPUD). Als Aktivist für Schadensminderung musste Roman Ledkov 2022 mit seiner Familie aus Russland fliehen. Er ließ sich in Berlin nieder, wo er seit seiner Ankunft ukrainischen Geflüchteten mit einer Suchtproblematik hilft. In diesem Interview mit der GPDPD erläutert er, wie er erfolgreich eine Unterstützungsstruktur für ukrainische Flüchtlinge aufgebaut hat und teilt die Herausforderungen, mit denen er konfrontiert wurde.

GPDPD: Roman Ledko, können Sie uns erzählen, wie Sie angefangen haben, für ENPUD zu arbeiten und was Sie dazu motiviert hat?

 

Roman Ledkov: Ich bin seit 2019 Mitglied der ENPUD. Seit 2011 hatte ich mich mit drogenpolitischen Themen in Russland beschäftigt, vor allem im Zusammenhang mit HIV. 2004 begann ich mit der Arbeit an einem Harm-Reduction-Projekt in der sibirischen Region Krasnojarsk, das zur Gründung der All-Russian Union of People Living with HIV führte. Hier beriet ich regelmäßig Menschen, die drogenabhängig sind. Im Jahr 2020 starteten wir ein Projekt mit dem Namen Counsellor Advisory Board on Treatment, bei dem wir uns mit Apothekern trafen, um uns über Erfahrungen in der HIV-Behandlung auszutauschen und sie auf die Substitutionstherapie anzuwenden.

 

Wie sieht Ihre tägliche Arbeit als Koordinator des ENPUD-Behandlungsexpertenrats aus?

 

Die Arbeit des Rates ist hauptsächlich technischer Natur. Wir entwickeln normative Dokumente zur Suchtbehandlung, Protokolle und Behandlungsstandards. Außerdem stellen wir Kontakte zu Ärzt*innen her und holen Rückmeldungen von Patient*innen ein. Meine Aufgabe ist es, als Vermittler zwischen dem Gesundheitssystem und dem Netzwerk zu fungieren.

 

Darüber hinaus arbeiten wir in der Ukraine mit Pharmaunternehmen zusammen und versuchen, sicherzustellen, dass die für die Substitutionstherapie erforderlichen Medikamente zur Verfügung stehen. Manchmal zögern die Unternehmen, sich am Beschaffungsprozess zu beteiligen, was zu Lieferproblemen führen kann. In diesen Fällen kommunizieren wir direkt mit den Manager*innen der Unternehmen, um logistische Fragen zu klären. Wir hatten mehrere erfolgreiche Fälle, in denen neue Hersteller ihre Arbeit in der Ukraine aufgenommen haben. Unser Projekt befindet sich noch in der Pilotphase, aber wir haben eine Strategie entwickelt, um Ressourcen zu finden, wenn keine Einkäufe getätigt werden können.

 

Darüber hinaus organisieren wir einen länderübergreifenden Austausch des Netzwerks. Dies ermöglicht den Austausch von Kompetenzen und Beispielen für eine erfolgreiche Umsetzung. Es gibt Länder, die weiter sind, wie Moldawien, Weißrussland und die Ukraine und in denen die Dienste zur Schadensminimierung und deren Umsetzung besser etabliert sind. Im Kaukasus und in Zentralasien sind die Prozesse langsamer und basieren auf einem veralteten Modell. Um diese Herausforderung zu meistern, versammeln wir Ärzt*innen, bereiten gemeinsam mit Patienten Präsentationen vor und stellen ein neues Arzneimittelprotokoll und dessen Registrierung vor.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie, als Sie vor einem Jahr mit der Geflüchtetenhilfe begonnen haben?

 

Als ich in Deutschland ankam, fand ich mich schnell am Berliner Hauptbahnhof wieder, wo ich auf hilfsbedürftige Geflüchtete traf. Zusammen mit BerLun, einem lokalen Partner, der Angebote der Schadensminderung für russischsprachige Klient*innen anbietet, waren wir die ersten, die reagierten. Wir haben nicht auf Protokolle oder Empfehlungen gewartet, sondern unsere eigenen Erfahrungen genutzt. Unser vorrangiges Ziel bestand darin, diese Menschen persönlich zu treffen, sie zu Sozialdiensten und Ärzten zu begleiten und ihnen bei der Beantragung einer Krankenversicherung behilflich zu sein. Es war eine herausfordernde Erfahrung, insbesondere aufgrund der Sprachbarriere und der Navigation in unbekanntem Terrain.

 

Als jemand, der in diesem Bereich gearbeitet hat, kann ich sagen, dass es definitiv mehrere Herausforderungen gibt, denen wir uns stellen müssen. Die erste große Herausforderung ist die Aufteilung der Mittel zwischen den Regionen. In Osteuropa und Zentralasien zum Beispiel gibt es Geber und Förderprogramme wie den Global Fund, die dringend benötigte finanzielle Unterstützung leisten. In Westeuropa, z. B. in Deutschland, stehen jedoch keine derartigen Mittel zur Verfügung, obwohl dort mehrere tausend Geflüchtete Hilfe benötigen. Das liegt vor allem daran, dass man davon ausgeht, dass das Land finanziell in der Lage ist, die Situation eigenständig zu bewältigen, aber in Wirklichkeit ist dies eine große Herausforderung.

 

Eine weitere Herausforderung ist der begrenzte Zugang zu Grundversorgungsleistungen durch Dienstleister, die in Deutschland tätig sind. Die Klient*innen sind oft auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, die notwendigen Bescheinigungen und Termine zu organisieren. Dies kann besonders schwierig für Patient*innen sein, die eine Opioid-Substitutionstherapie machen. Viele von ihnen sind 50 Jahre oder älter und haben häufig Schwierigkeiten mit der Technik, sei es bei der Terminvereinbarung oder beim Verfassen von E-Mails. Darüber hinaus haben die Sozialämter oft nur wenige Stunden am Tag geöffnet, was es schwierig macht, die benötigte Hilfe zu erhalten. Dies kann zu gefährlichen Situationen führen, in denen die Patient*innen zu Straßendrogen greifen, wenn sie keinen Zugang zu Methadon haben.

 

Schließlich ist auch die Sprachbarriere ein großes Problem. Als Begleitperson musste ich grundlegende Fragen der Patient*innen dolmetschen und dabei oft auf Google Translate zurückgreifen. Leider fehlt es oft an russischsprachigem Personal, das helfen kann, da es an Ressourcen für soziale Dienste mangelt. All diese Herausforderungen erschweren es den Patient*innen, die Unterstützung zu erhalten, die sie brauchen und verdienen, und machen deutlich, dass dringend mehr Ressourcen und Unterstützung in diesem Bereich benötigt werden.

 

Inwieweit ist es Ihnen gelungen, diese Herausforderungen zu bewältigen?

 

Trotz dieser Probleme hat sich unser Netzwerk vergrößert, wobei etwa 30 Prozent der Fälle durch die gegenseitige Unterstützung der Gemeinschaft gelöst werden konnten. Psychotherapie wird jedoch nur auf Deutsch oder aus der Ferne angeboten, so dass viele Patient*innen, die mit posttraumatischen Störungen und Schmerzsyndromen zu kämpfen haben, keinen Zugang zu den erforderlichen Dienstleistungen haben.

 

Ein weiteres herausforderndes Problem besteht darin, dass eine Krankenversicherung für eine Behandlung erforderlich ist. Patienten, die ohne Versicherung nach Deutschland kommen, müssen oft Wochen oder sogar Monate warten, bis sie eine Versicherung erhalten. Darüber hinaus sind einige deutsche Ärzte, die früher bereit waren, Patient*innen ohne Versicherung zu behandeln, im Laufe der Zeit immer weniger dazu bereit. Darüber hinaus ist es schwieriger geworden, die Voraussetzungen für die Unterbringung und Anmeldung bei einer Versicherung zu erfüllen, was den Patient*innen den Zugang zur Behandlung erschwert.

Wie erreichen Sie das Zielpublikum, d.h. wie finden und kontaktieren Sie Geflüchtete, die Ihre Dienste benötigen?

 

Wie erreichen wir unser Zielpublikum? Das ist eine gute Frage. Es ist oft schwierig, weil viele Menschen ihren Status nicht preisgeben wollen. Vielleicht leben sie in einer kleinen Stadt oder einem Dorf, in dem es keinen Zugang zur Suchtbehandlung gibt, oder sie leben bei Verwandten und trauen sich dort nicht über ihre Sucht zu sprechen. Daher warten sie oft, bevor sie Hilfe suchen bis sie keine Medikamente mehr haben. Die Angst vor negativen Reaktionen der Gesellschaft ist für viele Geflüchtete ein großes Problem, und sie machen sich vielleicht Sorgen darüber, was ihre Verwandten in der Ukraine denken würden.

 

Um Menschen zu kontaktieren, nutzen wir verschiedene Kanäle. Etwa ein Drittel unserer Überweisungen kommt von der Hotline Helpnow. Ein weiteres Drittel kommt von der Berliner AIDS-Hilfe, die in der Stadt bekannt ist und eine häufige Anlaufstelle für Geflüchtete ist. Die restlichen Überweisungen kommen von einem Netzwerk, das Informationen über Menschen, die die Ukraine verlassen und in Deutschland ankommen, austauscht. Wir haben auch eine Website und eine Facebook-Seite, wo Menschen mehr über unsere Angebote erfahren können.

 

2022 sprachen wir mit Anton Basenko, der auf zwei notwendige Veränderungen in Deutschland hinwies, um Menschen aus der Ukraine zu unterstützen: die Vereinheitlichung der Hilfssysteme zwischen den Bundesländern und die Aufstockung der Mittel für lokale Organisationen. An welchen Maßnahmen und Strategien arbeitet ENPUD in Bezug auf diese Themen?

 

Ich muss klarstellen, dass ENPUD derzeit nicht in Deutschland tätig ist und wir aufgrund nicht existierender Finanzmittel für Westeuropa auch keine Projekte in Deutschland haben.

 

Was die von Anton Basenko in seinem Interview angesprochenen Themen betrifft, so stimme ich zu, dass eine Vereinheitlichung der Angebote zwischen den Bundesländern und eine Aufstockung der Mittel für lokale Organisationen notwendige Veränderungen sind, um Menschen aus der Ukraine in Deutschland besser zu unterstützen. Allerdings umfasst das deutsche Gesundheitssystem 16 Bundesländer mit unterschiedlichen Entscheidungsträger*innen und ist derzeit nicht auf solche Notsituationen eingestellt.

 

In Deutschland steigt die Zahl der Menschen in Substitutionstherapie, während die Zahl der behandelnden Ärzt*innen abnimmt, was zu einer erhöhten Arbeitsbelastung der verbleibenden Ärzt*innen führt. Um eine Veränderung zu erreichen, brauchen wir einen systematischen Ansatz und eine Gruppe von Ärzt*innen, die bereit sind, sich für eine Veränderung einzusetzen. Angesichts des hierarchischen Charakters des deutschen Gesundheitssystems wird man eher auf Ärzt*innen hören als auf die Patient*innen.

 

Wie vielen Menschen konnten Sie bisher helfen?

 

Als Einzelperson habe ich seit meiner Ankunft in Deutschland fast 200 Menschen persönlich geholfen. Davon konnten über 100 in das Substitutionsprogramm aufgenommen werden, während 40 Prozent sofortige Erste Hilfe erhielten. Einige der Menschen, denen ich geholfen habe, sind auch in andere Länder weitergereist.

 

Wir verfügen jedoch nicht über konsolidierte Statistiken für alle Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten. Schätzungen zufolge erhielten jedoch rund 1.000 Menschen Unterstützung von diesen Organisationen.

Laut dem Regionalbericht 2022 der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCCDA): 

  • Schätzungen zufolge injizieren etwa 350 000 Menschen in der Ukraine Drogen (2020), davon sind etwa 19 Prozent Frauen; 
  • Am 1. Mai 2022 befanden sich nach Angaben der ukrainischen Regierung 17 844 Personen in Opioid-Agonisten-Therapien (OAT), davon schätzungsweise 15 % Frauen. Zusätzlich zum nationalen OAT-Programm erhielten am 1. Juni 2022 schätzungsweise zwischen 5 000 und 7 000 Personen diese Behandlung in 13 nichtstaatlichen Einrichtungen in der Ukraine; 
  • 2022 sind über eine Million ukrainische Flüchtlinge nach Deutschland geflohen; 
  • Seit Februar 2022 erhalten mehr als 100 Vertriebene aus der Ukraine OAT in Deutschland.