Die Pastadealerinnen von Maqellare

Mit handwerklicher Pasta gegen das organisierte Verbrechen

Hartweizen, Eier und Milch sind die Grundzutaten der handwerklich hergestellten Pasta. Ihr Erfolgsrezept sind aber nicht die hochwertigen Zutaten aus der Umgebung, sagt Lirie Rexha: „Es sind die Menschen, die sie machen.“ Lirie Rexha ist Gründerin einer informellen Frauenkooperative und leitet eine kleine Pastamanufaktur in Maqellare. Das Dorf liegt in der Region Dibra in Albanien. Arbeitslosigkeit und Abwanderung sind hier ein großes Problem; Verstrickungen in illegale Geschäfte mit Drogen und in Terrorismus ein anderes. Alle sind sie eng miteinander verknüpft. Lirie Rexha und ihre Mitstreiterinnen wie die Milchbäuerin Daije Novaku setzten ein Zeichen dagegen und mehr als das: mit ihrer solidarischen Arbeit sind sie eine Art Superkraft, die mehr als 20 Familien Einkommen sichert und nebenbei die Stellung der Frauen in ihrer Gemeinschaft verändert.

Dibra liegt im Nordosten Albaniens zur Grenze von Mazedonien. Umgeben von den Gebirgszügen Deshat-Korab und Lure-Selishtë, bestückt mit zwei Nationalparks und 21 Gletscherseen ist es eine der schönsten Regionen des Landes – aber auch eine der ärmsten.  In die Schlagzeilen internationaler Medien geriet die Gegend in den vergangenen Jahren, weil von hier besonders viele „Balkan Djihadis“ nach Syrien oder in den Irak ziehen und überproportional viele junge Männer auf illegalen Cannabisplantagen im Ausland arbeiten.

Stadt der Männer

 

Unweit von Maqellare liegt die Kleinstadt Peshkopi. Wer aus einer Großstadt kommt und morgens durch Peshkopi streift, wähnt sich in einem Science-Fiction, in dem ein Virus die weibliche Bevölkerung dahingerafft hat. Ausschließlich Männer in schwarzen und grauen Anzügen, mit vorwiegend grauem Haar beleben die Fußgängerzone mit ihren lokalen Geschäften und kleinen Cafés. Die meisten der jüngeren sind abgewandert; die Frauen sind zu Hause, betreuen die Kinder, machen Hausarbeit oder arbeiten auf den Feldern.

 

„Frauen verlassen ihr Haus nicht und gehen schon gar nicht fort, um Spaß haben“, sagt Erald Lamja, der für Entwicklungsvorhaben der USAID und UN Women tätig ist und für die GIZ die Frauenkooperative in Maquellare begleitet. Lamja widmet sich in seiner Arbeit der Förderung der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen, denn diese ist im ländlichen Raum nach wie vor kaum gegeben und ein wesentlicher Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Der albanische Staat tut viel für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, aber nichts wandelt sich langsamer als kulturelle Muster. Vor allem die ländlichen Regionen Albaniens sind traditionell und, was die Rollenbilder von Mann und Frau angeht, konservativ geprägt. Die Geburt eines Jungen wird in der Regel von fröhlichen Feiern begleitet, während die Geburt eines Mädchens den Wunsch auslöst: „Hoffentlich ein Junge beim nächsten Mal“ ("Herë tjetër me djalë").

Weniger als 10 Prozent der Frauen haben Landbesitz

Frauen arbeiten viel und hart, aber ihr Zugang zu Ressourcen und Repräsentanz sind so wie in den anderen Ländern des Globalen Südens begrenzt. Weltweit sind siebzig Prozent der 1,3 Milliarden in Armut lebenden Menschen Frauen. Gleichzeit sind sie für 50 bis 80 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion verantwortlich, besitzen aber weniger als 10 Prozent des Bodens. In Albanien arbeiten 36 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft. Sie wird deshalb als das Rückgrat der albanischen Wirtschaft bezeichnet. Aber schätzungsweise nur 5-10 Prozent der Frauen besitzen Land. Bei den Männern sind es immerhin 28 Prozent (2020).

Daije Novaku mit einer ihrer Kühe, die sie täglich auf die Weide bringt. © GIZ GmbH

Menschen sind wichtiger als Auszeichnungen

Wer sich dem Haus von Lirie und Karafil Rexha auf einem schmalen Weg am Hang nähert, hört schon von Weitem laute und fröhliche Stimmen. Ihre Veranda ist der Treffpunkt der Kooperative. Hier wird diskutiert und geplant, hier wird gemeinsam Kaffee getrunken und gelacht. Wenn die Frauen von ihrer Arbeit erzählen, sieht man den Stolz in ihren Gesichtern. Ihre Pasta ist über das Dorf hinaus bekannt, sie wird in feinen Restaurants in Tirana serviert. 2022 zeichnete Edia Rama, der Ministerpräsident Albaniens, die Frauen für ihre kulinarischen Errungenschaften aus. Lirie Rexha freut sich selbstverständlich über diese Anerkennung, aber am allerwichtigsten ist ihr: „Dass die Frauen das Einkommen ihrer Familien sichern können und die Jugendlichen in unserer Gemeinschaft nicht kriminell werden." 2020 wurde sie als „Botschafterin des Friedens“ der Universal Peace Federation prämiert.

Die Terrasse von Lirie und Karafil Rexha ist der Treffpunkt der Frauengruppe. Hier wird über alles geredet und verhandelt. © GIZ GmbH

Die Geschichte der Pastadealerinnen von Maqellare ist eine Geschichte der Resilienz und des Erfolgs, die passiert, wenn Menschen etwas bewegen wollen, wenn sie gute Entscheidungen treffen und merken, dass ihr Tun etwas bewirkt. Doch der Weg dahin war lang und er ist und bleibt zerbrechlich. Die Corona- und die Energiekrise setzen der albanischen Wirtschaft stark zu und auch die Pastamanufaktur steht mit den gestiegenen Energiepreisen wieder vor neuen Herausforderungen. Aber beginnen wir am Anfang.

Alles ist miteinander verbunden

Lirie Rexha, die Mutter von vier Kindern, besuchte 2005 eine Veranstaltung für Frauen im Rathaus von Dibra. Die Gemeinde hatte zu einem von USAID unterstützten Workshop eingeladen, im dem Frauen herausfinden sollten, mit welchen ihrer handwerklichen Fähigkeiten sie etwas zum Haushaltseinkommen hinzuverdienen können. So entdeckte Lirie Rexha, dass sie gute Pasta machen kann. Sie begann in ihrem Wohnzimmer handgemachte und luftgetrocknete Nudeln zu produzieren und diese für kleines Geld zu verkaufen. Die Rohzutaten wie frische Eier, Milch und Butter bezog sie von Daije Novaku, einer Kleinbäuerin aus Maqellare.

Daije Novaku ist verheiratet, Mutter von drei Söhnen, Oma von drei Enkelkindern. Ihre Geschichte sei hier kurz erzählt, weil sie stellvertretend für den existentiellen Überlebenskampf der Frauen in der Region steht. Daije Novaku hat einen kleinen Hof mit sechs Kühen, deren Milch sie zu Butter und Ricotta verarbeitet, sie hegt einen großen Gemüse- und Obstgarten und bestellt Felder mit Mais. Dabei wird sie von ihrem Mann und ihrer Schwiegertochter unterstützt. Das einzige Transportmittel der Familie ist ein Esel.

Daije Novaku beliefert die Manufaktur mit Milchprodukten. Sie hat schon viele Schicksalsschläge gemeistert. © GIZ GmbH

2012 verlor Daije Novaku ihren Sohn Drilon im Alter von nur 13 Jahren. Er verunglückte beim Spielen mit Freunden am Hausberg tödlich. Wenn Daije Navaku heute mit einem ihrer Enkelkinder am Grab von Drilon steht und mit ihren Händen über sein kleines Bildnis streicht, weint sie, als wäre es gestern passiert. Acht Jahre nach dem ersten ereignete sich ein zweites Unglück: Ihr damals 16-jähriger Sohn Detar stürzte aus dem sechsten Stock einer illegalen Baustelle in Mazedonien. Er hatte gegen den Willen der Eltern die Schule abgebrochen, weil er sich nützlich machen und Geld verdienen wollte. Knochen und Träume waren zertrümmert, aber Detar überlebte, viele Operationen folgten. Kurz darauf erlitt der Vater der Kinder einen Herzinfarkt. Er wurde operiert.

Daije Novaku und ihr Enkelsohn am Grab einer ihrer Söhne, der im Alter von 13 Jahren tödlich verunglückte. © GIZ GmbH

Es ist kaum vorstellbar, wie Daije Novaku dieses Leid erträgt und auch die finanziellen Lasten, die damit einhergehen. Aber sie meistert es mithilfe ihrer Familie und der anderen Frauen aus der Kooperative. Die Familien von Maqellare haben nicht nur kaum Einkommensperspektiven, sie haben auch keine soziale Absicherung. Die Folgen einer Krankheit oder eines Unfalls sind häufig Schulden. Die WHO schätzt, dass im Jahr 2016 ein Viertel der albanischen Haushalte aufgrund von sogenannten Out-of-Pocket-Zahlungen für Gesundheitsleistungen von Verarmung bedroht war. Solche Schicksalsschläge wie die der Familie Novaku prägen die Gemeinschaft und die Beziehung der Frauen von Maqellare. Erfolgreich wirtschaften und gut leben hängen an einem dünnen Seil, ohne Netz und doppelten Boden.

In all den Jahren stieg die Nachfrage der Pasta weiter an. Lirie Rexha involvierte mehr und mehr Frauen in die handwerkliche Jufkaproduktion, wie der traditionelle Teig genannt wird. Doch es ging nicht einfach steil nach oben. Aufgrund des natürlichen Trocknungsprozesses funktionierte das Geschäft nur im Frühjahr und im Sommer, in den kälteren Monaten kam es trotz Nachfrage zum Stillstand. Die Frauen hatten keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, der Betrieb war und ist nicht offiziell registriert, die Produkte waren zwar etikettiert, aber nicht wie es Lebensmittelgesetze vorsehen, was den Zugang zum Markt einschränkte. Die Frauen haben viele Fähigkeiten, sie sind fleißig, erfindungsreich und flexibel. Aber ohne den Zugang zu wesentlichen Ressourcen wie betriebswirtschaftliches Wissen oder Kredite bleiben den mittlerweile mehr als 20 Frauen und Familien Chancen verwehrt.

Der Zugang zu Ressourcen ist der Schlüssel für Weiterentwicklung

Die Frauenkooperative bekam diese Unterstützung durch ein Projekt der USAID (2012-2020), das dann durch ein Projekt der Alternativen Entwicklung der GPDPD abgelöst wurde. Die Frauen in Maqellare wurden im Laufe der vergangenen Jahre in betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten geschult, sie setzten bessere Arbeitsbedingungen um, eine Nudelmaschine aus Italien ersetzte das manuelle Ausrollen und Schneiden, sie raffinierten ihre Trocknungstechniken für eine ganzjährige Produktion, ohne dass die Qualität nachließ. Etikett und Lebensmittelsicherheit werden mittlerweile von entsprechenden staatlichen Institutionen abgenommen und der Zugang zum Markt damit erleichtert. Die GPDPD hat außerdem den Ausbau der Produktionsstätten mitfinanziert, weil die Räumlichkeiten der wachsenden Nachfrage nicht mehr standhalten konnten. Die Einnahmen der Genossenschaft konnten so bis 2022 von 35.000 auf 70.000 EUR pro Jahr gesteigert werden.

Frauen der Kooperative begeben sich 2021 auf einen Feldbesuch und schauen sich eine andere Produktionsstätte an. Die Erfahrung dort gibt ihnen das Selbstvertrauen ihr eingemachtes Gemüse auf den Markt zu bringen. © GIZ GmbH

Doch eine Garantie, dass das Geschäft so erfolgreich weiter geht wie jetzt, ist nie gegeben. Die albanische Wirtschaft kämpft mit den Folgen der Corona-Krise, die Inflation ist Anfang 2023 mit 8 Prozent auf einem Rekordhoch, die Kosten für Energie etwa Benzin sind fast so hoch wie in den reicheren europäischen Staaten, dabei liegt das Durchschnittseinkommen bei 503 EUR. Das treibt auch die Preise für den Hartweizen in die Höhe und die Kunden haben gleichzeitig weniger Geld in ihren Taschen.

Auf die Frage, warum Lirie Rexha in ihrer Kooperative nur Frauen beschäftigt antwortet sie direkt: „Weil sie hart arbeiten können und dabei den Spaß nicht verlieren.“ Und sie sind erfindungsreich, sie geben nicht auf, machen weiter. Um gegen Krisen und Rohstoffeinbrüche gefeilt zu sein, lassen sich die Frauen immer wieder neues einfallen und stellen ihre Produktion breiter auf. Sie erweiterten ihr Portfolio um Gebäck (Baklava), das in schnellster Zeit ein Renner für Feierlichkeiten wurde. Sie experimentieren mit Trockenfrüchten, Eingemachtem und Marmeladen. Lirie Rexha, die von ihrer Gruppe auch liebevoll „Halla“, die „Tante“ genannt wird, weiß, den Status quo zu halten, reicht nicht.  

Im Garten der Pastamanufaktur trafen sich die Frauen mit anderen Produzent*innen, um zu sehen wie man zusammenarbeiten könnte und präsentierten ihre handgemachten Lebensmittel. © GIZ GmbH

Der jüngste Coup: Eine Frau aus einem anderen Dorf bot an für die Kooperative Hartweizen anzubauen und prompt wurde im Herbst 2022 Winterweizen ausgesät. So machen sie sich bald unabhängig von den gestiegenen Getreidekosten. Eine kleine Hühnerfarm ist ebenfalls in Planung und wird in ihrer Umsetzung von der GIZ unterstützt. So entstehen kleine Satelliten der Kooperative und weitere Familien profitieren vom Pastageschäft. Als nächstes steht außerdem an, alle Geschäftsbeziehungen zu formalisieren und vertraglich abzusichern, sowie gemeinsame Rücklagen für die soziale Absicherung zu bilden.

Lirie Rexha ist 72 Jahre alt und mit ihrem Mann Karafil seit 47 Jahren verheiratet. © GIZ GmbH

Die Frauen und auch die Männer, die ihre Frauen unterstützen und daraus keinen Hehl machen, haben sich in ihrer Gemeinschaft und darüber hinaus Respekt verdient. Sie sind angesehene Leute. Sie haben etwas erreicht, ohne nur an sich zu denken. Das beeindruckt und wirkt nach. Viele wollen es ihnen nachtun. Lirie Rexha lächelt ihren Ehemann an, mit dem sie bald ein halbes Jahrhundert verheiratet ist und der in der Manufaktur aushilft, wo er kann. Sie sagt zu ihm: „Ich danke dir für deine Unterstützung!“ „Du bist doch mein Star“, antwortet er.